Im Jahr 2015 landeten Entwickler Dontnod Entertainment und Publisher Square Enix mit dem Episoden-Adventure Life is Strange einen beachtlichen, wenngleich auch überraschenden Erfolg. Die Fangemeinde des Genres wurde im Sturm erobert und schnell wurde Life is Strange zu einem Hit, den so vielleicht keiner vorhergesehen hätte. Nun, nach langem Warten für die Fans, schicken Dontnod und Square Enix mit Life is Strange 2 einen Nachfolger ins Rennen. Die am 26. September veröffentlichte erste Episode zum Nachfolger haben wir für euch getestet und verraten euch wie sich diese schlägt. Kann Life is Strange 2 den riesigen Erwartungen gerecht werden, die der Vorgänger weckte?
Life is Strange 2 – Eine ganz normale Jugend
In Life is Strange 2 schlüpft ihr in eine Rolle, welche viele Spieler aus dem eigenen Alltag vielleicht sogar kennen. Ihr seid Teenager. Nicht gerade zufrieden mit allem, welcher Teenager ist dies schon? Insgesamt wirkt ihr aber durchaus gefestigt. Ihr macht typische Teenager-Dinge, freut euch auf eine Party und die Hormone signalisieren euch auch ein starkes Interesse am anderen Geschlecht. Selbstverständlich wisst ihr noch nicht so recht was ihr wollt und euer kleiner Bruder nervt doch sehr. Und weiter kann ich die Handlung gar nicht so genau thematisieren, ohne Spoiler einzubauen. Also lassen wir das besser.
Life is Strange 2 lebt von Handlung und Atmosphäre
Denn die Handlung ist es, welche Life is Strange 2 ausmacht. Eure Entscheidungen bestimmen euren weiteren Weg im Spiel. Hier hatte bereits Teil 1 erfolgreich das Telltale Prinzip abgekupfert und deutlich verbessert. Life is Strange 2 macht hier wenig anders. Das Setting ist vielleicht zu Beginn sogar noch etwas eingängiger. Die Atmosphäre ist dicht. Es wird kaum einen geben, der sich nicht irgendwie mit den Akteuren verbunden fühlt. Man könnte sogar meinen, dass Trauer, Leid und Freude direkt über den Controller weitergegeben werden.
Es wird kaum einen geben, der sich nicht irgendwie mit den Akteuren verbunden fühlt.
Atmosphärisch dicht wird im Übrigen auch die USA unserer Zeit dargestellt. Ihr seid nicht irgendein Jugendlicher, ihr seid in Life is Strange 2 Mexikaner und Sohn eines Einwanderers. Dies wird im Verlauf der ersten Episode immer wieder aufgegriffen. Da fallen Floskeln wie „In Zeiten wie diesen, in diesem Land“ oder später, je nachdem welche Dialoge ihr durch eure Entscheidungen triggert „Wegen Leuten wie dir bauen wir diese große Mauer!“. Harter Tobak. Dem Spieler verlangt dies auch einiges ab. Ein klein wenig Allgemeinwissen ist schon nötig, um als Deutscher die Anlehnung an Trumps Mauer an der Grenze zu Mexiko zu verstehen.
Diese Details sind es, die dafür sorgen, dass sich dieses Spiel teilweise so unglaublich echt anfühlt. Der Trick der Entwickler liegt auch darin dem Spieler Wissen zuzutrauen und nur sanft anzudeuten, statt wie andere Spiele und unzählige Filme mit dem ganzen Zaun zu winken, statt nur mit dem Pfahl. Und durch die leider sehr realen Hintergründe wird einem, auch abseits dessen wie der Titel es eigentlich meint, bewusst wie Strange das Leben teilweise eben ist.
Eine feste Verzahnung zum Vorgänger gibt es nicht. Ihr könnt also auch mit Life is Strange 2 direkt beginnen. Die letzte Entscheidung aus Teil 1 wird dann per Zufall simuliert. Mehr Altlasten nimmt man ohnehin nicht mit und der Handlungsstrang ist insgesamt ein ganz anderer, was Neueinsteigern sehr entgegenkommt.
Life is Strange 2 – Zocken nicht nur für Gamer
Der Anspruch ans Gameplay selbst ist jedoch sehr gering. Echte Rätsel konnte ich in der kompletten ersten Episode nicht ausmachen. Selbst das als Demo fungierende Die fantastischen Abenteuer von Captain Spirit war fordernder. Inwieweit Captain Spirit Life is Strange 2 in der ersten Episode beeinflusst lässt sich im Übrigen nicht mit Sicherheit sagen. Ich gehe nicht davon aus, dadurch irgendetwas bewirkt zu haben. Ganz im Gegenteil zur Store Beschreibung der Gratis-Demo. Aber es kommen ja noch einige Episoden.
Es ist dank dem kaum messbaren Schwierigkeitsgrad jedenfalls nahezu unmöglich nicht irgendwie im Spiel voranzukommen. Eure Reaktionen beeinflussen zwar die Richtung der Handlung, jedoch nicht wirklich das Tempo beim Fortschritt. Obgleich dies für Gewohnheitsspieler schon etwas zu anspruchslos ist, dürfte es hingegen für Nicht-Zocker eine Einladung sein. Übel nehmen mag man es dem Spiel insgesamt nicht, wer aber auf das eine oder andere etwas anspruchsvollere Rätsel hofft, sollte dann doch besser warten ob so etwas in künftigen Episoden nachgeliefert wird. Diese Leichtigkeit im Fortschritt ist auch ursächlich für die sehr kurze Spielzeit der ersten Episode. Wer wirklich jede Textzeile eingehend studiert, jedes Eck genauestens anschaut und alle sechs Sammelobjekte findet, wird es dennoch schwer haben weit über vier Stunden Spielzeit in einem Durchlauf zu kommen. Realistischer sind meist etwa drei bis vier Stunden.
Wer aber auf das eine oder andere etwas anspruchsvollere Rätsel hofft, sollte dann doch besser warten ob so etwas in künftigen Episoden nachgeliefert wird.
Kleine Entscheidungen, welche die Handlung beeinflussen können, gibt es übrigens unzählige. Und als kleinen Twist haben die Entwickler in Life is Strange 2 eingebaut, dass nicht nur ihr euch damit verändert. Auch euer eingangs erwähnter nerviger kleiner Bruder schaut sich einiges beim Vorbild des großen Bruders (ihr) ab, sodass ihr auch für seinen Werdegang die Verantwortung tragt.
Life is Strange 2 – Grafisch und technisch einwandfrei
Life is Strange 2 läuft technisch absolut ohne Makel. Nimmt man beispielsweise Telltale-Spiele als Vergleichswert, so läuft Life is Strange 2 in der ersten Episode selbst in den hochwertigen Sequenzen zu jeder Zeit flüssig. Dies können Walking Dead und Co nicht für sich beanspruchen. Die Hauptfigur wird in der Regel mit einem Kamerablick wahlweise über die linke- oder rechte Schulter begleitet. Dies sorgt für Übersicht bei der Erkundung. Eingaben, etwa um Dinge anzusehen, zu nehmen oder zu betätigen, funktionierten ebenfalls ohne Probleme.
Auch Grafikfehler konnte ich keine ausmachen. Grafisch bleibt Life is Strange 2 dem Vorgänger ohnehin recht treu. Umschreiben würde ich den Stil als glaubhaft gezeichnet. Nur selten wirkt etwas deplatziert. Anspruchsvolle Geräte wie die Xbox One X werden hier aber sicher dennoch nicht annähernd ausgelastet.
Ein Freudenfest für die Ohren
Mehr als „gut genug“ muss die Grafik aber auch nicht sein. Soundtrack und gesprochene Dialoge sind dermaßen gut, dass diese auch ein Hörspiel tragen könnten. Ganz viel Atmosphäre liefert die Musik im Hintergrund. Die Dialoge sind allerdings nur auf Englisch eingesprochen, was hier aber vermutlich eher Vorteil, als Nachteil ist. Zwar sind die Texte grundsätzlich auf deutsch übersetzt, wäre es aber bei einer zusätzlichen deutschen Synchronisierung schwer die emotionale und fesselnde Atmosphäre angemessen zu übermitteln . Dies gilt übrigens auch für Briefe und andere Schriftstücke. Im Original seht ihr diese auf Englisch, per Tastendruck lässt sich allerdings eine Übersetzung liefern, welche aber aufgrund einer unglücklich gewählten Schrift-Hintergrund-Kombination nur schwer lesbar ist.
Soundtrack und gesprochene Dialoge sind dermaßen gut, dass diese auch ein Hörspiel tragen könnten.
Diese Untertitel sind auch eine der Schwächen des Spiels. So werden Floskeln wie „I hear you“ mit „ich höre dich“ übersetzt. Richtig wäre hier frei übersetzt beispielsweise etwas wie „Ich verstehe, was du mir sagen willst“. Für jene, die wirklich kein Englisch können sehr schade.
Fazit
Life is Strange 2 ist eine wirklich gelungene Erzählung mit starken, gefühlvollen Momenten. Die Präsentation ist nahezu perfekt. Lediglich die deutschen Untertitel bedürften noch einiger Überarbeitung. Denn diese machen das Spiel für jene, die nicht auf die englische Sprachausgabe hören können, an wenigen Stellen kaputt. Davon mal abgesehen: Würde Life is Strange 2 so wie es ist als Serie auf Netflix laufen, würde ich jede Folge verschlingen.
Leider haben wir hier aber keine Serie, sondern ein Spiel. Und dafür ist der Schwierigkeitsgrad doch etwas zu flach gehalten. Life is Strange 2 zwingt den Spieler die komplette erste Episode über geradezu dem Ende näher zu kommen. Dies mag dem Erzählfluss sicher zuträglich sein und die atmosphärische Dichte hochhalten. Als Spiel wird am Ende aber selbst der unerfahrenste Spieler denken, dass das Ende etwas zu früh kam. Wer den Gesamtpreis für alle Episoden von etwa 40 Euro entrichtet dürfte, vorausgesetzt Episode 2 bis 5 bieten etwa den gleichen Umfang, wird dennoch rund 15 bis 20 Spielstunden unterhalten.
Hier ist zwar ein wenig Vertrauensvorschuss nötig, was den Nachteil des Episodenformats einmal mehr verdeutlicht, Vollpreisspiele bieten aber nicht selten noch weniger Kampagnenspielzeit. Dies geht also durchaus in Ordnung und der erste Eindruck ist gut genug, um diesen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Um eine wirklich sichere Vorhersage zu machen, lässt die erste Episode von Life is Strange 2 am Ende allerdings noch viel zu viel offen. Noch nicht einmal wie viele der unzähligen getroffenen Entscheidungen sich im weiteren Verlauf wirklich niederschlagen vermag ich zu sagen.