Mit Detroit Become Human steht endlich einer der wichtigsten PlayStation-4-Exklusivtitel des Jahres im Handel. Noch länger, noch spannender und noch komplexer verspricht der neueste Titel von Quantic Dream zu sein. Doch was das emotionale Abenteuer dreier Androiden wirklich auf dem Kasten hat, klärt unser Review!
Androiden-Alltag
David Cage. Kaum ein anderer Entwickler spaltet die Spielerschaft so sehr, wie der Leiter von Quantic Dream. Die einen sehen in ihm einen Visionär der Games-Branche, der monumentale und einzigartige Meisterwerke abliefert. Von Fahrenheit, über Heavy Rain, bis Beyond: Two Souls. Für die anderen verstrickt sich das Mastermind jedoch regelmäßig in Logikfehlern seiner bruchstückhaften Erzählstruktur, während es seinen Spielen an Interaktionsmöglichkeiten mangelt.
Ob man die Quantic-Dream-Spiele nun mag oder nicht: Schwerwiegende moralische Entscheidungen und eine teils atemberaubende Technik sind seit jeher ein Markenzeichen der gespielten Filme. Detroit Become Human ist erst das fünfte Spiel des französischen Studios und hievt die emotionale Handlung, Entscheidungsfreiheit und Individualität auf ein ganz neues Level. Das Ergebnis ist eines der spannendsten Spiel-Erlebnisse seit Langem, welches im Bereich des Storytellings neue Maßstäbe setzt und auch Nicht-Spieler begeistern wird!
Für Detroit Become Human haben sich die Entwickler einem der wohl ältesten Science-Fiction-Themen überhaupt angenommen: Im Jahr 2038 dreht sich alles um die verschwimmende Grenze zwischen Menschen und Androiden. Frei nach Philip K. Dicks Genreklassiker „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ aus dem Jahr 1968.
Bekannte Formel, weiter gedacht
Wer schon einmal ein Spiel der Entwickler gespielt hat, weiß wie der Hase läuft. Auch in Detroit Become Human erlebt ihr die Handlung aus der Sicht mehrerer abwechslungsreicher Charaktere. Kara, Markus und Polizei-Ermittler Connor könnten, obwohl allesamt Androiden, unterschiedlicher nicht sein. Im Laufe der packenden Handlung ergeben sich aber durch einige gelungene Story-Kniffe Gemeinsamkeiten und Überschneidungen der Handlungsfäden, die sich zu einem stimmigen Gesamtkonstrukt entwickeln. Auf wirre Story-Fetzen und eine künstlich zerstückelte Handlung verzichten die Entwickler diesmal erfreulicherweise, was Atmosphäre und Spielspaß zugutekommt!
Aus spielerischer Sicht hingegen orientiert sich der Titel an der bekannten Formel der Entwickler. So besteht auch Detroit Become Human aus den drei Kernelementen Multiple-Choice-Dialogen, Quick-Time-Events und der Erkundung der Welt. Trotzdem bietet das Spiel auch interessante Neuerungen und Kniffe. Die funktionieren sogar so gut, dass Detroit das bislang beste Spiel des Studios darstellt.
Eure Aufgabe zeigt euch das Spiel nun organisch innerhalb der Spielewelt an. Außerdem bringen die menschlichen Maschinen aufgrund ihrer zukunftsweisenden Technologie neue Möglichkeiten mit sich, um die Umgebung nach interessanten Punkten zu scannen.
Deplatzierte Highscore-Jagd
Die wohl größte Neuerung liegt allerdings darin, dass euch Detroit Become Human nach dem Abschluss einer Szene haarklein aufschlüsselt, wie ihr euch entschieden habt und welche anderen Wege es noch gegeben hätte. Insgesamt 32 Kapitel haben es in das Spiel geschafft, in denen sich das Diagramm jederzeit aufrufen lässt- auch, während ihr es spielt. Diese sind mitunter so komplex ausgefallen, das es für einzelne Abschnitte mehrere verschiedene Enden und zahlreiche Handlungsstränge gibt. Zudem dürft ihr eure Entscheidungen jederzeit mit Spielern aus aller Welt und euren Freunden vergleichen.
Dieses coole Feature ist aber Fluch und Segen zugleich. Zum Einen sorgt es dafür, dass ihr das Game unbedingt mehrmals durchspielen wollt. Eben weil ihr sehen möchtet, wie die Handlung sich entwickelt hätte, wenn ihr einen anderen Weg eingeschlagen hättet.
Zum Anderen hingegen zerstört das Diagramm die Immersion komplett. Detroit Become Human will ein interaktiver Film sein, der weitestgehend auf Einblendungen und ein HUD verzichtet. Nach jeder Sequenz, egal wie kurz und unwichtig oder lang und emotional sie auch sei, führt euch das Spiel das Diagramm vor Augen und erinnert euch daran, dass ihr hier ein Spiel spielt.
„Hey, du spielst ein Videospiel! Schau mal: Die und die Möglichkeiten haben wir eingebaut. Tust du dies, wäre möglicherweise das passiert.“ Ins Detail geht das Diagramm nicht, immerhin werden die Inhalte anderer Lösungen nicht angezeigt. Doch oftmals kann man sich denken, welchen Weg die Handlung eingeschlagen hätte. Hinzu kommt, dass euch das Spiel mit Punkten „belohnt“. Sei es für eure Dialog-Auswahl, eure Entscheidung oder das Lesen einer Zeitschrift, was schlicht deplatziert wirkt.
Detroit Become Human Gameplay – Packend und faszinierend
Doch genug gemeckert. Detroit Become Human ist ein unglaublich faszinierendes Spielerlebnis geworden, welches euch emotional tief berühren und mitreißen wird. Aus Spoiler-Gründen werde ich hier allerdings nicht näher auf die Handlung um Kara, Markus und Connor eingehen.
Nur so viel: Alle drei Androiden durchlaufen im Rahmen der Story eine Achterbahn der Gefühle, die euch emotional aufwühlen wird. Alle drei erleben das Aufkommen der androidischen Abweichler, also Maschinen, die ein Bewusstsein entwickeln und von ihrer Programmierung abweichen, aus einem anderen Blickwinkel. Im Zusammenspiel der drei Protagonisten ergibt sich ein stimmiges und fesselndes Gesamtkonstrukt.
Besonders das Spiel mit euren Gefühlen und dem entsprechendem Widerspruch darin (immerhin erlebt ihr den Titel aus Sicht einer Maschine) ist den Entwicklern hervorragend gelungen. So seid ihr während des Spiels ständig im Zwiespalt: Handle ich so, wie ich es für richtig erachte? Oder agiere ich eher rational, wie ich es von einem Androiden erwarten würde?
Es ist einfach faszinierend zu sehen, wie die drei Hauptfiguren mit dem Thema Emotionen konfrontiert werden und versuchen zu verstehen, ob sie nun wirklich etwas fühlen oder ob es sich bei all dem nur um einen Fehler in der Software handelt, der den freien Willen lediglich simulieret. Detroit Become Human konfrontiert euch fast im Sekundentakt mit folgenschweren Entscheidungen und spielt geschickt mit dem Fakt, dass euer „Held“ doch eigentlich nicht frei handeln kann. Ihr hingegen schon.
Wie viel ist eure Existenz eigentlich wirklich wert? Genug, um dafür auch über menschliche Leichen zu gehen? Wem könnt ihr wirklich vertrauen? Mit all diesen Fragen schlagt ihr euch in einer stimmigen US-Metropole der Zukunft herum, in der Androiden, Drohnen und selbstfahrende Autos zum Alltag gehören. Detroit erzählt eine Zukunftsgeschichte, die durch und durch glaubhaft wirkt und noch dazu unglaublich atmosphärisch präsentiert wird. (Fast) alles in diesem Spiel wirkt wie aus einem Guss.
Mehr Film als Spiel
Ja, auch Detroit Become Human leidet unter denselben Problemen, wie seine „Vorgänger“. Immerhin bekommt ihr es hier mehr mit einem interaktiven Film zu tun, als mit einem komplexen Spiel. Was damals galt, gilt auch heute noch: Dieses Konzept muss man einfach mögen.
Wer hier umfangreiche Spielelemente und komplexes Gameplay erwartet, wird mit Detroit vermutlich nicht glücklich werden. Wer hingegen weiß, worauf er sich einlässt, erhält eine der intensiven Geschichten seit Langem mit einem detailverbesserten Spielablauf.
Besonders die Abschnitte, in denen ihr in die Haut des Ermittlers Connor schlüpft, haben es wirklich in sich. Dort geht ihr der Polizeiarbeit nach, analysiert Hinweise und rekonstruiert die Geschehnisse, die letztlich zum entsprechenden Delikt geführt haben. Dabei liegt es fast immer an euch, wie viel ihr letztlich über die Welt und die Charaktere erfahren wollt. Durchforstet ihr die Vergangenheit eures neuen Kollegen Hank oder wartet ihr brav, bis sich dieser aus dem Bett gequält hat? Eure Entscheidung, euer Spiel! Etwas schade, dass die meisten Nebencharaktere zu klischeehaft bleiben: Der alkoholabhängige Cop, der böse Sohn,…
Doch auch einige Erkundungspassagen in Detroit Become Human wissen zu gefallen. Vor allem aber die vielschichtigen und mitunter enorm klugen Dialoge sind das Aushängeschild des Adventures, in denen eure Entscheidungen unter Zeitdruck die Handlung bestimmen. Und das wird eben nicht nur vorgegaukelt, wie in vielen anderen Spielen, sondern ist tatsächlich so.
Detroit Become Human ist ein Spiel, welches mehrfach erlebt werden muss. Je nachdem, wie sich eure Geschichte entwickelt, erwartet euch ein mitunter unbefriedigendes Ende. Kein anderes Spiel von Quantic Dream motivierte dagegen so sehr zum erneuten Durchspielen, wie Detroit. Am Ende ergeben sich dermaßen viele Möglichkeiten für das Finale, dass ihr nicht die Finger vom Spiel lassen könnt, bis ihr sie alle erlebt habt.
Detroit Become Human – Meisterlich präsentiert
Aus grafischer Sicht markiert Detroit Become Human die Speerspitze dessen, was ihr bisher auf der PlayStation 4 erleben konntet und teilt sich den Thron mit God of War. Vor allem bei Mimik und Gestik der detailverbliebten Figuren setzt das Spiel neue Maßstäbe. Auch die Animationen sind über jeden Zweifel erhaben und unterstreichen die Gratwanderung zwischen Mensch und Maschine hervorragend.
Hinzu kommt, dass Quantic Dream eine enorm glaubwürdige Zukunftsvision von Detroit geschaffen haben. Jedem Kapitel des Spiels nimmt man tatsächlich ab, dass unsere Welt in einigen Jahren genau so aussehen könnte. Futuristische Hochhäuser treffen auf dreckige Straßen, während der Androiden-Friedhof euch das Blut (oder Motorenöl) in den Adern gefrieren lässt. Gerade die ärmeren Viertel der Großstadt könnten fast der heutigen Zeit entsprungen sein.
Bis ihr dann auf Passanten trefft, die gegen die Androiden demonstrieren oder der beleuchtete Zebrastreifen auf grün schaltet. Jedes noch so kleine Detail der Welt von Detroit Become Human wirkt in sich stimmig. Schade nur, dass viele der Umgebungen sehr klein ausfallen und ihr manchmal keine zehn Meter gehen könnt, ohne an eine virtuelle Begrenzung zu stoßen.
Auch der Soundtrack hinterlässt einen hervorragenden Eindruck und punktet mit stimmigen Orchester- und Synthie-Elementen, der das emotionale Geschehen auf dem Bildschirm jederzeit perfekt unterstreicht und sich trotzdem angenehm im Hintergrund hält. Etwas Kritik muss sich der Titel allerdings bei der deutschen Synchronisation gefallen lassen. Manche Sprecher sind nicht mit dem nötigen Elan dabei und wirken schlicht fehl besetzt, was selten für Risse in der ansonsten tadellosen Atmosphäre sorgt.
Fazit:
Ich gebe es gerne zu: Bislang war ich nicht unbedingt Fan der Spiele von David Cage. Doch mit Detroit Become Human hat mich der Franzose vollends überzeugt. Klar habe ich es hier mehr mit einem gespielten Film, als mit einem echten Videospiel zu tun. Dafür sind die Gameplay-Elemente einfach zu seicht, allerdings funktionieren sie hervorragend und schaffen dadurch ein einzigartiges Spielerlebnis.
Der Titel lebt vor allem von seinen emotionalen Entscheidungen, die tatsächlich großen Einfluss darauf haben, wie sich das Spiel entfaltetet. Und das stärker, als jemals zuvor in einem Game. Vor allem die tiefgreifende Geschichte wirft eine Reihe ethischer Fragen auf, mit denen ich mich als Spieler konfrontiert sehe. Zudem haben es die Entwickler geschafft, ein in sich stimmiges und glaubwürdiges Zukunftsszenario zu erschaffen, in dem ich mich von der ersten Minute bis zum Finale gerne bewege.
Etwas Kritik muss sich der Titel es bei den klischeehaften Charakteren, simplen Rätseln und der durchwachsenen deutschen Synchronisation gefallen lassen. Zudem funktioniert das Diagramm der Entscheidungen für mich nur bedingt: Einerseits cool und hilfreich, andererseits macht es die Immersion zunichte.
Doch über diese Kritikpunkte kann ich problemlos hinweg sehen. So ist Detroit Become Human für mich schon jetzt eines der Spiele-Highlights des Jahres 2018, mit dem ich in der Form nicht gerechnet habe. Ein Spiel, dass ich unbedingt mehrfach durchspielen möchte und das auch Nicht-Spieler begeistern wird.